Die Geschichte der Plauener Kunstschule

Hans Herold — Plauen

Plauen hatte eine Kunstschule

Wer heute seine rasche Fahrt an der Einmündung der Friedens- in die Bahnhofstraße unterbrechen muss, weil die Lichtsignale auf Rot stehen, oder als Fußgänger seinen Lauf durch den Tunnel fortsetzt, wird sich kaum erinnern oder überhaupt wissen, daß an dieser Stelle bis 1945 eine im In- und Ausland bekannte Schule stand. Dieser Bildungsstätte, die ihren Namen mehrfach wechselte, meist aber von der Bevölkerung kurz Kunstschule genannt wurde, soll mit den folgenden Zeilen gedacht werden.

1877 war eine kunstgewerbliche Fachzeichenschule gegründet worden. Diese bescheidene Einrichtung, zunächst zwei Zimmer in einem Haus an der Marktstraße, hatte den Zweck, Musterzeichner vor allem für die Gardinenherstellung heranzubilden. Aus ihr entwickelte sich die Kunstschule. Der Vermehrung der Zahl der Unterrichtsräume sowie der Erweiterung der Vorbildersammlung folgte 1891 die Einweihung des neuen Gebäudes westlich der Friedensstraße / Ecke Bahnhofstraße. Nachdem die Raumnot überwunden war, konnten größere Aufgaben über-nommen werden. Sie ergaben sich aus dem trotz kapitalistischer Krisen ungeahnten und stürmischen Aufschwung der Stickereiindustrie sowie aus der Belebung der Gardinenerzeugung.

Die Kunstschule bildete vor dem ersten Weltkrieg hauptsächlich tüchtige Musterzeichner für die Textilindustrie aus, belehrte junge Kaufleute und sonstige Interessenten im Zeichnen, Weben und Maschinensticken und schulte weibliche Arbeitskräfte für die Weißwarenkonfektion sowie für andere Fächer der Frauenarbeit in Industrie und Haushalt. Zeitweise war ihr auch die Förderung der Zeichenlehrlinge anvertraut. Abend- und Sonderkurse dienten der Weiterbildung Berufstätiger. Die Einrichtung besaß umfangreiche Sammlungen, die dauernd vermehrt wurden. Sie waren für den Anschauungsunterricht der Schule da, standen als Anregung aber auch einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Da gab es eine Fachbibliothek mit Vorbildersammlung und Zeichensaal, ein Museum, für Textilindustrie sowie Gipsmodelle und Naturalien. Ausstellungen und Vorträge erregten Aufmerksamkeit. Zweigabteilungen existierten in Auerbach, Eibenstock, Falkenstein, Oelsnitz i. V.; ständige Vorbildersammlungen, die Plauen regelmäßig auswechselte, lagen in Auerbach, Annaberg, Eibenstock, Falkenstein, Frankenberg, Glauchau, Meerane und Reichenbach. Angeschlossen war zunächst die 1899 eröffnete, ebenfalls mehrfach umbenannte Stickerfachschule, die 1908 ein neues Gebäude an der Ecke Rähnis- und Heubnerstraße erhielt (heute Fachschule für Ökonomie). In dieser Einrichtung wurden technische Arbeitskräfte, also Maschinensticker, Kartenschläger, Fädlerinnen, Ausbesserinnen und viele andere für die vogtländische Stickerei- und Konfektionsindustrie aus- oder weitergebildet. Eine Abteilung für Musterzeichnerlehrlinge entwickelte sich später zur selbständigen Fachgewerbeschule.


1904 verstarb der erste und sehr verdienstvolle Kunstschuldirektor, Professor Richard Hofmann. Er war 1877 als einziger Lehrer an die Fachzeichenschule gekommen. Die Stadt Plauen ehrte sein Andenken, indem sie einer vom Leninplatz (damals Dittrichplatz) abzweigenden Straße seinen Namen gab.

Nach dem ersten Weltkrieg befand sich die heimische Stickereiindustrie in einem ständigen Niedergang. Die Kunstschule hatte sich immer weitgehend an der Praxis orientiert und ihr auch manche Anregungen gegeben. Es galt nun vor allem, die schöpferischen Kräfte für das gesamte textile Kunstgewerbe womöglich noch spezialisierter und sorgfältiger heranzubilden. So gab es um 1925 nach dem Unterricht in den allgemeinen Grundlagen Fachklassen erstens für das Entwerfen und Ausführen von Möbelstoffen, Fuß- und Wandteppichen, Druckstoffen, Tapeten und bunten Gardinen, zweitens für das Entwerfen und Ausführen von Spitzen und Stickereien, englichen (Bobinet-) Gardinen und Tapisserien, drittens für kunstgewerbliche Textilarbeiten und schließlich für solche Schüler, die eine über das Textilfach hinausgehende künstlerische Fortbildung suchten. Über der Belehrung angehender Fachkräfte wurde natürlich die Öffentlichkeitsarbeit nicht vergessen.

Die Bücherei der Kunstschule enthielt bereits Ende 1923 fast 10 000 Bände, kunstgewerbliche Werke, Bücher wissenschaftlichen oder volkstümlichen Inhalts, Zeitschriften usw., auch rund 7 400 Tafeln mit Vorlagen. Die Zahl der Vorbilder- Musterabschnitte von Spitzen, Stickereien, Posamenten, gewebten und bedruckten Stoffen sowie Tapeten, war auf über 200 000 geklettert. Im sehenswerten Textilmuseum befanden sich zu dieser Zeit 26 000 besonders achtbare Gegenstände. Durch Ankäufe und Geschenke wurden Bibliothek und sonstige Bestände weiter bereichert. Die Benutzung war für jedermann unentgeltlich möglich.

Nachdem sich die Kunstschule eine Zeitlang ihrer ursprünglichen Hauptaufgabe etwas entfremdet hatte, schöpferischen Nachwuchs für die verschiedenen Zweige der Textilindustrie auszubilden, nahm sie von 1934 an ihre alten Verpflichtungen wieder wahr. Die Stickerfachschule, die seit 1921 selbständig gewesen war, wurde angebunden. Kunstschule und Fachschule befanden sich nun im Gebäude an der Bahnhofstraße und erhielten bald auch eine einheitliche Leitung. Die Einrichtung an der Heubnerstraße war überflüssig geworden, zumal ein 1935 fertiggestellter Neubau auf dem Gelände der Kunstschule große Stickmaschinen und Webstühle aufnahm. Kleinere Maschinen der bisherigen Stickerfachschule kamen im Gebäude an der Bahnhofstraße selbst unter. Es gab sogar Werkstätten für Stoffdruck und eine kleine Färberei. Damit war jetzt eine enge Verbindung von künstlerischen Gedanken und ihrer praktischen Verwirklichung gegeben. Etwa 1937 trat eine Modeschule ins Leben, diese Abteilung wurde in der Folge weiter ausgebaut. Sie leistete einen wichtigen Beitrag zur Modegestaltung und hatte die besondere Aufgabe, Modelle zu entwerfen, bei denen die Erzeugnisse der Stickereiindustrie ansprechend verwendet waren. Die Schöpfungen fanden viel Anerkennung.

An der Kunstschule unterrichteten immer tüchtige Lehrkräfte, hauptamtliche und nebenberufliche, auch bekannte Künstler befanden sich darunter. Die Weltgeltung, die sich Plauener Stickereien, Spitzen und Gardinen verschafften, war in nicht geringem Maße auf das Wirken dieser Einrichtung und ihrer Absolventen zurückzuführen. Ehemalige Schüler nahmen später leitende Stellen in den Entwurfsateliers der Textilindustrie ein oder arbeiteten als selbständige Gestalter. Sogar heute noch tätige Maler, Grafiker und Entwerfer holten sich damals an diesem Institut eine gründliche Ausbildung. Seit September 1944 wurde Plauen 14mal von anglo-amerikanischen Flugzeugen bombardiert, der verbrecherische Hitlerkrieg schlug nun furchtbar auch auf unsere Stadt zurück. Der letzte Luftangriff vom 10. April 1945, der zugleich der schwerste war, zerstörte auch die Kunstschule völlig. In ihren Kellern waren Luftschutzräume eingerichtet, die als besonders sicher galten. Dahin flüchteten nicht nur Menschen in großer Zahl, hier wurden auch wertvolle Textilien untergebracht. Bomben brachten das Gebäude zum Einsturz, ein Brand vollendete das Vernichtungswerk. Viele Menschen kamen ums Leben. Die Bergung der verschütteten Toten dauerte vom 12. Juli bis zum 15. September 1945, dabei wurden 6 Luftschutzräume freigelegt. Wahrscheinlich fielen in der Kunstschule etwa 80 Personen den Bomben zum Opfer. Die in Kisten aufbewahrt gewesenen Spitzen, Gardinen usw. waren laut Bericht eines Bergungstrupps „vollständig verbrannt".

Die Vernichtung des Gebäudes und der Sammlung besiegelte das Schicksal der Einrichtung, wenn auch im Gebäude an der Heubnerstraße eine Berufsfachschule und dann auch die Modeschule noch bis Anfang der 50er Jahre bestanden. 1952 erhielt das Vogtlandmuseum Plauen (damals Vogtländisches Kreismuseum) die Überbleibsel des Textilmuseums, etwa 1 800 Stück. Restliche Fachbücher, vielleicht 1 000 Bande, gelangten zunächst an die Stadtbibliothek Plauen und wurden von dieser größtenteils an die Ingenieurschule für Textiltechnik in Reichenbach weitergegeben. Die Geschichte der Kunstschule in Plauen war damit endgültig abgeschlossen.

Wichtigste Literatur und Quellen:

Adreßbücher der Stadt Plauen, einzelne Jahrgänge zw. 1922 u. 1950. Akten im Stadtarchiv Plauen über Bom­bentote, 1944/45-46.

Jahresberichte der Kunstschule, 1904/05, 1906/07 U. 1912/13.

Verwaltungsberichte der Kreisstadt Plauen, 1897-1933.

Hanusch: Textilwesen und Fachschulen in Plauen, in: Deutschlands Städtebau, Plauen i. Vogtl., „Dari"-Verlag, Berlin-Halensee 1926.

Mitteilungen der Herren Kapitschke und Schauer.

Text: Hans Herold – Plauen / Vogtländische Heimatblätter 6/83